Christinas Blog

Agilität – aus der Sicht einer Systemikerin

In aller Munde und als „das“ Rezept für alle Probleme präsentiert wurde „Agiles Führen“, „Agiles Coaching“, „Agiles Projektmanagement“ usw. – zumindest vor der Covid-Krise. Bei solchen Hypes bin ich oft etwas skeptisch – genauso wie bei Ballerinas. Meist bin ich erst dann dabei, wenn der Trend längst über alle Berge ist und kein Mensch mehr davon spricht. Im Gegensatz zu der Sache mit den Ballerinas habe ich hier allerdings ernsthafte Bedenken.

Woher kommt eigentlich dieser Hype und warum gibt es so viel Sehnsucht nach agilen Systemen und was sagt unser Steinzeithirn eigentlich dazu?

In vielen Fällen ist die Sehnsucht nach Agilität nicht wirklich eine echte Sehnsucht nach Agilität sondern eine Weg-von-der-Starrheit-Sehnsucht und daher nicht wirklich eine (langfristige) Lösung für das echte Problem. Es gibt gute Gründe für Starre oder langsame Bewegung. Manche Systeme operieren genau mit der Geschwindigkeit, die gesund für sie ist, oder es gibt Gründe, warum in bestimmten Phasen „schneller Fahren“ Schäden mit sich bringt. Speziell in Lernphasen oder wenn sich Systeme erst wieder auf ein neues Gleichgewicht einschwingen, werden Ressourcen auch für diese Prozesse benötigt und sind daher nicht mit einem eingeschwungenen System, dem „schnell Fahren“ in der DNA liegt, vergleichbar. Die Natur hat gute Gründe, warum sie ist, wie sie ist. Vergleicht man einen Vogel aus der Natur, mit unserem Nachbau namens Flugzeug, wird einem schnell klar, dass man nur sehr schwer ans Original herankommt. Für manche Dinge ist der Nachbau zweckmäßig, das Original aber damit zu ersetzen, darauf käme kein Mensch.

Agilität ist für mich daher oft ein Nicht-wahrhaben von dem was ist und eine „mehr vom Gleichen“-Methode (die nur scheinbar anders ausschaut). Wie wenn man eine Zitrone, die eigentlich nix mehr hergibt, noch einmal fest ausdrückt und meint das wäre jetzt die richtige Technik um ein Zitronenperpetuummobile zu bekommen. Oder für die Autofans: Wenn bei einem Auto, Tanken gefragt ist, weil der Tank leer ist, kommt (abseits von Chuck-Norris) keiner auf die Idee, dass „er/sie/es muss es nur wollen“ die Lösung ist.

Was mich auch immer wieder fasziniert: uns ist oft nicht bewusst, dass unser Hirn nicht so viel anders ist, wie das des Steinzeitmenschen. Von der Masse her wird es angeblich sogar immer weniger – was nicht unbedingt mit der Intelligenz zu tun hat.
Was aber damit zu tun hat, ist, dass wir zwar nicht mehr im Wald herumlaufen (außer während Covid ;-)) und unsere Hütten weit fescher sind, als zur Zeit von Fred Feuerstein und Co, aber die Art wie wir Dinge lösen, speziell wenns hart auf hart kommt, gar nicht so viel anders ist. Wir glauben nur, dass wir so anders sind, weil unsere Umgebung, in der wir uns bewegen – also die Bühne – so anders ausschaut. Aber Bühne ist Bühne und wie Paul Watzlawick so berühmt gesagt hat: Was ist schon die Wirklichkeit? Nachdem wir offenbar bei den Grundfunktionen nicht so viel ändern können und an der Tatsache, dass Zitronen keine Perpetuummobiles sind, können wir eigentlich nur unsere höchstpersönliche 100% unikate Wirklichkeit ändern. Die Art, wie wir drauf schauen und was wir darin sehen. Die Sache mit dem Saftglas also: Halb voll oder leer oder was ganz was neues. Und erforschen, woher wir auf die Idee mit dem voll oder leer, usw. kommen.
Hinterfragen: die Fähigkeit, die uns immer von Robotern, unterscheiden wird – weil WIR das Original sind.